
Wenn in der Puppenecke plötzlich alles anders ist…
Die Matratze ist noch da, die Stühle auch, doch wo ist der Backofen, das Geschirr und der Kinderwagen? Die Puppen und die Plüschtiere fehlen ebenfalls. Stattdessen sind nun Tücher, Seile, Kissen und Klämmerli da. In der Ecke steht eine Leiter. Was machen die Kinder nun damit?
Eine kleine Starthilfe meinerseits brauchen es. Dann kommen Kinder immer mehr in Fahrt. Zuerst verwandeln sie die Ecke in ein buntes Durcheinander. Alles liegt herum. Doch mit der Zeit entsteht ein fantasievolles Gebilde. Farbige Tücher werden über die Leiter und Matratze gezogen und mit unzähligen Klämmerli befestigt. Zwischendurch fällt das eine oder andere Tuch wieder ab, doch das stört die Gruppe nicht. Mit viel Lachen und Teamarbeit werden sie wieder angepinnt. Stühle unterstützen die Matratze, damit sie nicht umkippt. Seile hat es auch noch. Auch diese kommen zum Einsatz und werden an einigen Stellen an die Tücher geknotet. Es entsteht langsam eine gemütliche kleine Höhle. Die Kinder holen Kissen, um den Innenraum zu gestalten. Sie wandern im Kindergarten herum, und entdecken noch andere Spielsachen, die sie in ihr kleines Reich mitnehmn z.B. Bilderbücher, Papier und Farbstifte.
Ein angeregtes Rollenspiel entsteht.
Inzwischen sind ein paar Wochen vergangen. Die Hütte wurde schon mehrfach abgebaut, neugebaut, umgestaltet und erweitert. Anfangs haben sich die Kinder einfach dorthin zurückgezogen und etwas gemalt oder ein Buch angeschaut. An manchen Tagen spielte niemand in der Puppenecke. Doch immer öfter schlüpfen die Kindergärtler in eine neue Rolle. Sie spielen und improvisieren verschiedene Situationen. Waren am Anfang fast ausschliesslich Mädchen zugegen, kommen jetzt auch einige Knaben dazu. Es entsteht wieder eine neue Dynamik.
Das Rollenspiel ins nicht «nur» ein Spiel.
Das Rollenspiel hat viele Effekte auf die Entwicklung der Kinder: So verarbeiten sie Erlebtes aus ihrem Alltag. Ihre Kreativität wird angeregt. Die Kinder lernen miteinander zu kommunizieren, was ihnen in einer anderen Rolle manchmal besser gelingt. Durch die immer neu entstehenden Situationen im Rollenspiel und beim Bau der Höhle wird auch das logische Denken angeregt. Sie müssen sich z. B. überlegen, wie sie es fertigbringen, dass die Tücher nicht mehr herunterfallen.
Der Wortschatz dieser sehr multikulturellen Klasse erweitert sich «rollenspielend».
Das Selbstbewusstsein wird gefördert, indem sie Alltagssituationen immer wieder aus einer anderen Perspektive erleben und so lernen, besser damit umzugehen.
Fazit:
Damit eine solche Entwicklung stattfinden kann, benötigen die Kinder Zeit und Freiräume. Es braucht auch keine vorgefertigten Spielsachen, welche nur wenige Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Die Fantasie der Kinder ist gross genug, um sich mit den Gegebenheiten selbständig zu entfalten und die Welt zu entdecken.
Ein Beitrag von Marianne Kleiner, Kindergarten-Lehrerin, Allmend, Turgi